Geschäftsbericht 2012 für die Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg

Datum: 18.02.2013



1. Die Verfahrensdauer in erster Instanz ist so kurz wie noch nie.

2. Die Eingänge beim Landesarbeitsgericht haben sich nach dem Wegfall der massenhaften Betriebsrentenverfahren wieder normalisiert.

3. Wichtige Verfahren in der Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg im Jahr 2012

4. Terminsvorschau auf interessante Verfahren im Jahr 2013

 


1. Die Verfahrensdauer in erster Instanz ist so zügig wie noch nie

Die Verfahrensdauer bei den Arbeitsgerichten erster Instanz war im Jahr 2012 so kurz wie noch nie. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug in den sogenannten Urteilsverfahren (insbesondere Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über Kündigung, Zahlung oder Zeugnis) im Durchschnitt aller neun erstinstanzlichen Arbeitsgerichte des Landes vom Klageeingang bis zum Verfahrensabschluss (durch Vergleich, Urteil oder auf sonstige Weise) nur 3,0 Monate. Im einzelnen schwankte die Verfahrensdauer zwischen 1,9 Monaten und 3,8 Monaten. Die Arbeitsgerichte in den Großstädten Stuttgart und Karlsruhe hatten mit 3,8 bzw. 3,1 Monaten die längste Verfahrensdauer. Dies ist darauf zurückzuführen, dass in Stuttgart und Karlsruhe im Allgemeinen zahlreiche komplexe und grundsätzliche Verfahren wie Betriebsrentensachen und Compliance-Verfahren anhängig gemacht werden, die einen entsprechenden Zeitaufwand erfordern. Sieht man von dieser Besonderheit bei den Arbeitsgerichten Stuttgart und Karlsruhe ab, betrug die Verfahrensdauer deutlich weniger als drei Monate.

Dieses erfreuliche Ergebnis ist dem großen Engagement aller Beschäftigten der Arbeitsgerichtsbarkeit zu verdanken. Es ist aber auch darauf zurückzuführen, dass sich der moderate Verfahrenseingang bei den Arbeitsgerichten erster Instanz auch im Jahr 2012 fortgesetzt hat. So belief sich die Zahl der Eingänge am Ende des Jahres 2012 auf 45.645 Verfahren. Im Vorjahr waren es 45.963 Verfahren. Die Zahl der am Jahresende 2012 unerledigten Verfahren konnte weiter verringert werden. Sie betrug nur noch 12.279 Verfahren (Vorjahr: 12.580 Verfahren).

Die Arbeitsgerichte haben die derzeitige Phase der positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt somit dazu genutzt, den Parteien zügigen Rechtsschutz zu gewähren und die Zahl der unerledigten Verfahren weiter abzubauen. Hierbei freut sich die Arbeitsgerichtsbarkeit über die Entscheidung des Landtags, dass im Rahmen des Doppelhaushalts 2013/2014 7,5 der 16 kw (=künftig wegfallend)-Stellen im Richterbereich in Planstellen umgewandelt wurden. Hierbei handelt es sich - um Missverständnissen vorzubeugen - nicht um Neustellen, sondern um Stellen, die aus Stelleneinsparungen in anderen Bereichen der Justiz gewonnen wurden. Die Umwandlung der Stellen gibt der Arbeitsgerichtsbarkeit die erforderliche Planungssicherheit bei der Besetzung der Richterstellen.


2. Die Eingänge beim Landesarbeitsgericht haben sich nach dem Wegfall der massenhaften Betriebsrentenverfahren wieder normalisiert

Noch bis Mitte des Jahres 2012 hatte das Landesarbeitsgericht eine Verfahrensflut zu bewältigen, die seit dem Jahr 2010 durch Berufungsverfahren betreffend die Betriebsrentenanpassungen bei der Firma IBM ausgelöst wurden. Am 19. Juni 2012 entschied das Bundesarbeitsgericht in einem Revisionsverfahren, dass das von der Firma IBM in den Jahren 2008 und 2009 praktizierte Verfahren bei der Betriebsrentenanpassung nicht rechtens gewesen sei. Im Anschluss an dieses Urteil des Bundesarbeitsgerichts reduzierten sich die von der Firma IBM eingelegten Berufungen merklich und beschränkten sich Ende des Jahres 2012 nur noch auf wenige Einzelfälle. Das Landesarbeitsgericht begrüßt diese Entwicklung sehr. Die knappen Ressourcen des Landesarbeitsgerichts müssen nicht mehr Verfahren gewidmet werden, die massenhaft durch alle Instanzen getrieben werden.

Am Ende des Jahres 2012 belief sich die Zahl der Berufungsverfahren aber immer noch auf 2.481 (üblich sonst: zwischen 1.900 und 2.000 Verfahren), 147 Beschwerdeverfahren in Beschlusssachen und 799 sonstigen Beschwerdeverfahren, insgesamt also 3.427 Verfahren. Das sind immer noch 500 bis 600 Verfahren mehr als im langjährigen Mittel. Nach Wegfall der IBM-Verfahren dürfte sich die Geschäftsbelastung des Landesarbeitsgerichts im Jahr 2013 wieder auf das Normalmaß reduzieren.

Die im Jahr 2011 aufgrund der IBM-Verfahren angewachsenen Bestände konnten erfreulicherweise im Jahr 2012 wieder verringert werden. Die Zahl der nichterledigten Verfahren betrug Ende des Jahres 2012 892 Verfahren (Vorjahr: 1.548 Verfahren).


3. Wichtige Verfahren in der Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württemberg im Jahr 2012

Im Jahr 2012 wurden bei den Arbeitsgerichten und beim Landesarbeitsgericht wieder zahlreiche interessante, zum Teil öffentlichkeitswirksame Verfahren verhandelt. Hierzu zählten etwa:

a) Verfall von Urlaubsansprüchen bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit spätestens nach Ablauf von 15 Monaten nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahrs.

Mit Urteil vom 21.12.2011 (10 Sa 19/11), veröffentlicht im Februar 2012, entschied das Landesarbeitsgericht, dass Urlaubsansprüche bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit spätestens nach 15 Monaten nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahrs verfallen und bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten sind. Damit griff das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg als erstes Arbeitsgericht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.11.2011 (C-214/10) auf. Der Europäische Gerichtshof hatte entschieden, dass das Unionsrecht eine unbegrenzte Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nicht fordere. Entsprechend dieser Entscheidung zog das Landesarbeitsgericht die Grenze für den Verfall der Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit bei 15 Monaten nach Ende des Urlaubsjahrs. Dieser Rechtsauffassung schloss sich das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 07.08.2012 (9 AZR 353/10) an.

b) Al-Qaida-Fall vom 24. Mai 2012

Dem Kläger war von der Firma Daimler AG die zugesagte Wiedereinstellung nach einem Sabbatjahr mit der Begründung verweigert worden, er sei wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung rechtskräftig verurteilt worden. Die Firma Daimler AG trug vor, sie mache sich strafbar, wenn sie dem Kläger ein Arbeitsplatzangebot unterbreite. Der Kläger hatte eingewandt, er habe dem Terrorismus abgeschworen. In der Berufungsverhandlung vom 24.05.2012 einigten sich die Parteien auf Vorschlag des Gerichts dahingehend, dass der Kläger seine Klage zurücknimmt, die Daimler AG die Gerichtskosten des Rechtsstreits übernimmt und beide Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.

c) Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen Arbeitszeitbetrugs

In einem weiteren spektakulären Fall verlangte die Daimler AG die Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds wegen angeblichen Arbeitszeitbetrugs. Die Daimler AG hatte dem Betriebsratsmitglied vorgeworfen, er habe an 3 Tagen während seiner Arbeitszeit seine Ehefrau zu deren Arbeitsplatz in einem anderen Werk gefahren. Der Arbeitnehmer hatte sich den Vorwürfen entgegengestellt. Am 19. Juli 2012 einigten sich die Beteiligten in der Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht darauf, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden.

d) Keine Boni für Führungskräfte bei der LBBW in den Geschäftsjahren 2009 und 2010

In einem in der Presse viel beachteten Urteil entschied das Landesarbeitsgericht aufgrund einer Verhandlung im November 2012, die Landesbank Baden-Württemberg sei berechtigt gewesen, die mit den Führungskräften vereinbarten variablen Vergütungen in den Geschäftsjahren 2008 bis 2011 aufgrund der drastischen Verluste während der Wirtschafts- und Finanzkrise zu kürzen bzw. zu streichen. Zur Begründung führte das Landesarbeitsgericht aus, die Kürzung bzw. Streichung durch den Vorstand entspreche aufgrund der drastischen Verluste in den genannten Geschäftsjahren billigem Ermessen.


4. Terminsvorschau auf interessante Verfahren im Jahr 2013

Im Jahr 2013 stehen beim Landesarbeitsgericht eine Reihe von Verhandlungen in Rechtsstreitigkeiten an, über die die Presse bereits zum Teil berichtet hat.

a)  Wirksamkeit der Geschäftsordnung des Betriebsrates Stuttgart-Untertürkheim der Daimler AG / Minderheitenschutz im Betriebsrat

Im Werk Stuttgart-Untertürkheim der Daimler AG ist ein 43-köpfiger Betriebsrat gebildet. Er besteht aus 34 Mitgliedern der Gewerkschaft IG Metall, 2 der Christlichen Gewerkschaft Metall und 7 unabhängiger Listen. Am 2. Februar 2012 beschloss der Betriebsrat nach einem vorangegangenen Rechtsstreit eine neue Rahmengeschäftsordnung (RGO). In dieser RGO sind Regelungen über Betriebsratsausschüsse und Fachbeauftragte enthalten, über deren Besetzung bzw. Benennung der Betriebsrat nach den Grundsätzen der Verhältniswahl entscheidet. 7 Betriebsratsmitglieder der Minderheitsfraktionen des Betriebsrats machen geltend, dass die RGO in weiten Teilen gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoße und damit unwirksam sei. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 12. September 2012 die Anträge zurückgewiesen. Dagegen haben 7 Betriebsratsmitglieder Beschwerde eingelegt.

Verhandlungstermin Mittwoch, 10. April 2013, 11:00 Uhr, Saal 4, 8. OG (2 TaBV 6/12)

b) Firma Enfumo GmbH: 60 Kündigungsschutzklagen

Die im Jahre 2004 zuerst unter einem anderen Namen gegründete Geislinger Firma Enfumo GmbH, die hauptsächlich Jalousien und Rollläden herstellte, gehörte zum österreichischen Hella-Konzern und produzierte ausschließlich für diesen. Im Juni 2009 kündigte Hella den Liefervertrag mit Enfumo zum Jahresende. Im Oktober 2009 übernahm ein österreichischer Einzelunternehmer die Firma Enfumo mit der Absicht, die Produktion auf Fotovoltaik-Elemente umzustellen. Bereits an Weihnachten 2009 wurde der Betrieb in Geislingen geschlossen und mehrere Maschinen veräußert. Noch vor der Insolvenzeröffnung im März 2010 schloss die Hella-Tochter SKS mit über 20 früheren Enfumo-Arbeitnehmern aus Buchhaltung, Werkzeugbau, Kunststoffspritzerei, Fertigung, Lager, Versand, Verwaltung und EDV neue Arbeitsverträge ab. Diese Arbeitnehmer arbeiten seither in den Räumlichkeiten der früheren Enfumo. Der Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt Geiwitz, kündigte sämtliche, zum Teil langjährige Arbeitsverhältnisse wegen Betriebsschließung. Dagegen erhoben ca. 60 Arbeitnehmer Kündigungsschutzklagen gegen den Insolvenzverwalter und machten gegenüber mehreren Firmen des österreichischen Hella-Konzerns einen Betriebsübergang geltend.

Das Arbeitsgericht Stuttgart - Kammern Aalen - wies mit Urteilen vom 18. September 2012 die Klagen ab. Gegen diese Urteile legten ca. 60 Arbeitnehmer Berufungen ein. Diese Berufungen sind bei verschiedenen Kammern des Landesarbeitsgerichts anhängig. Die ersten Berufungsverhandlungen sind ab Mai 2013 terminiert. Auf diese Termine wird rechtzeitig mit Pressemitteilungen hingewiesen.

c) Fristlose Kündigung des Mercedes-Chefs USA

Der 57-jährige Kläger ist seit 1975 bei der Beklagten beschäftigt und ab Mitte der 80er Jahre für diese in führender Position im Ausland (Kanada, Australien, USA) tätig gewesen. Für seine Tätigkeit bei der Tochtergesellschaft der Beklagten in Amerika (im Folgenden: MB USA) ab dem 01. September 2006 wurde ihm eine Dienstvilla mietfrei zur Verfügung gestellt.

Während der Tätigkeit der Klägers in den USA wurden an der Dienstvilla verschiedene bauliche Maßnahmen vorgenommen, darunter u. a. die Installation einer Home-Entertainment-Anlage für ca. 89.800 $, der Einbau eines Fitnessstudios mit verspiegelten Wänden im Keller und der Umbau der Waschküche, um eine neue Waschmaschine und einen neuen Trockner installieren zu können. Nachdem einer der beiden in der Villa sich befindlichen Weinkühlschränke defekt war, wurde ein neuer für ca. 2.600 $ angeschafft. Der Kläger hat des Weiteren Rechnungen für die Anschaffung von Betten über insg. ca. 6.100 $ bei MB USA eingereicht und daraufhin einen Betrag von ca. 9.400 $ erstattet bekommen. Für ein persönliches anwaltliches Beratungsgespräch mit dem Kläger im Zusammenhang mit einer Green-Card-Angelegenheit wurden von MB USA ca. 2.700 $ bezahlt.

Die Beklagte stützt ihre außerordentliche Kündigung vom 20. Oktober 2011 darauf, dass der Kläger diese verschwenderischen Maßnahmen veranlasst bzw. sie zumindest nicht unterbunden habe. Er habe um seines eigenen Vorteils willen die ihm als oberstes Organ der Tochtergesellschaft der Beklagten obliegende Pflicht, deren Vermögensinteressen wahrzunehmen, in schwerwiegender Weise verletzt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Vorwürfe keine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Die ihm von der Beklagten vorgeworfenen Maßnahmen seien von anderen Personen entschieden bzw. vorgeschlagen worden. Durch den Erwerb der Betten seien der MB USA erhebliche Hotelkosten erspart worden.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt (3 Sa 129/12). Der Berufungstermin findet voraussichtlich im Frühsommer 2013 statt.

Dr. Eberhard Natter
Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg

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